Wie kann ich einem Obdachlosen helfen?

Das Problem des Idealismus

Als es unser Wunsch wurde den Obdachlosen aktiv auf der Straße zu begegnen, hatten wir die romantische Vorstellung, dass wir jeder obdachlosen Person ein Leben außerhalb der Straße ermöglichen können. Wir waren davon überzeugt, dass sie auf unsere Hilfe gewartet haben und wir sie in eine Unterkunft vermitteln können. 

Es folgte eine große Ernüchterung.

Für einen Menschen mit einem gefestigten sozialen Umfeld, mit einem geregelten Alltag und einer Lebensfreude ist es leicht, die erforderlichen Termine bei Ämtern zu planen und wahrzunehmen. Die erforderlichen Unterlagen werden zusammengesucht und einige Zeit später findet der vereinbarte Termin statt. Nicht aber für die Menschen auf der Straße. Das Leben auf der Straße verändert einen Menschen. Es verändert die Persönlichkeit. Es verändert die Zuverlässigkeit, Belastbarkeit und den Lebensmut. Es verändert die Zuversicht und die eigene Ordnung. Wir erleben es immer wieder, dass Obdachlose keine dauerhaft Unterkunft finden, da sie die erforderlichen Unterlagen nicht mehr besitzen. Vielleicht wurden sie beklaut oder die Unterlagen haben unter dem Leben auf der Straße zu stark gelitten. Vielleicht wurden sie auch plötzlich aus ihrem bisherigen Leben gerissen und haben nicht an Dokumente gedacht. Diese Dokumente werden dann häufig von den Ämtern gefordert. Aus dieser Situation entsteht Frust. Frust über das eigene Dasein und Frust über die deutsche Bürokratie. Dieser Situation folgt ein Verschließen vor allen Dingen und Personen. Die Obdachlosen verlieren die Hoffnung und das Vertrauen in die Gesellschaft. Der Gedanke „ich mache jetzt alles alleine und brauche keine Hilfe“ bestimmt von diesem Moment ihr Leben. 

Das Problem des Idealismus ist unsere Vorstellung vom zukünftigen Leben eines Obdachlosen. Wir sind uns sicher, dass diese Menschen sich ein Leben außerhalb der Straße durch eine Wohnung wünschen. Einen geregelten Alltag, unabhängig ob dieser eine Arbeitstätigkeit beinhaltet, sowie ein gefestigtes soziales Umfeld. Das kann gelingen, bleibt aber meistens eine Ausnahme. Viel mehr geht es um die kleinen Momente, die bei den Begegnungen entstehen. Die Obdachlosen lernen uns kennen und erzählen uns ihre Geschichte. Wir bereichern ihren Tag mit einem Kaffee oder einem Brötchen. Eine echte Begegnung, ein kurzes Gespräch mit einer vertrauten Person. Es geht um einen Austausch, um Gedanken und Wünschen zu teilen. Es geht nicht um eine Wohnung und es geht nicht um einen Arbeitsplatz. Wir sind keine Sozialarbeiter*innen. Wir sind auch keine Pädagog*innen. Diese Fachkräfte haben nach mehrjährigem Studium eine akademischen Abschluss erlangt. Das gilt es zu respektieren. Sie haben sich auf diesen Dienst vorbereitet, um einen Weg aus der Obdachlosigkeit zu ermöglichen. Sie wurden auf die Grenzerfahrungen vorbereitet und können die Gefühlslagen der Obdachlosen deuten. Es wäre Hochmut zu behaupten, wir können die Menschen von der Straße holen. Natürlich wünschen wir uns, dass wir einen derart großen Einfluss auf diese Menschen haben, dass sie durch uns eine Wohnung finden. Aber das wäre eine Ausnahme. 

Sich von diesem Idealismus zu distanzieren befreit die Seele für den Umgang mit den Menschen auf der Straße. Es erleichtert das Kennenlernen und die Beziehungen zu den Obdachlosen. Wir können zu unterschiedlichen Einrichtungen vermitteln, die wirklich einen tollen Job machen. Seitdem wir uns von dem anfänglichen Idealismus befreit haben, fühlen wir uns weniger machtlos.